Warum will ich auswandern?
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Warum will ich auswandern?
Die erste Frage, die man sich als Auswanderer stellen sollte (und auch stellen lassen muss, etwa im Bewerbungsgespräch), ist die zentrale Frage überhaupt: "Warum Auswanderung?"
Wir reden hier schliesslich nicht von Auswanderungswellen wie im 19. Jahrhundert von Irland nach Amerika, weil Hungersnot und Unterdrückung herrschen. Nein – die meisten Auswanderer dürften weniger drastische Gründe haben. Oder?
Oftmals sind es Menschen, die an einem bestimmten Punkt im Leben oder Beruf einen neuen Start suchen. Diese Menschen gehen meistens überlegt an die Sache heran, denn sie haben schon etwas Erfahrung gesammelt, sind schon einige Jahre auf eigenen Füssen durch das Leben gegangen und wissen, welche Risiken und Chancen einen Lebensweg immer, überall begleiten. Sie bilden die realistischste Gruppe der “Auswanderer” hier in Irland, gehören zu den stabileren Menschen und sind meist nicht mehr im “Studentenalter” (OK, das ist relativ … manche Dauerstudenten verzerren das Bild eben!).
Gerade der “neue Start” setzt aber eines voraus – man muss schon mal einen anderen Start mitgemacht haben. Also nicht frisch von der Uni oder gar Schule ankommen.
Für Arbeitgeber sind gerade die Neustarter die generell besten Kandidaten, wenn sie ihren Neustart im Interview auch einigermassen begründen können – ihre Lebensläufe spiegeln zwar eine Art organisiertes Chaos wider, aber durch ihr persönliches Auftreten bringen sie Ordnung in dasselbige. Sie wissen, was die Gründe für ihren Neustart sind, reden auch relativ offen hierüber und gestehen eigene Schwächen ein. Sie sehen die Auswanderung als Chance, wissen aber auch, dass sie selbst diese Chance erarbeiten und verwirklichen müssen.
Realistisch gesehen bietet Irland immer noch gute Chancen für Neustarter – es sind eine grossen Zahl von Einsteigerjobs vorhanden (vor allem im Call Center Bereich oder in der Gastronomie/Hotelgewerbe), so dass man relativ schnell Fuss fassen kann. Dazu kommt die Tatsache, dass die meisten Multinationalen vor allem auf Können, nicht aber so sehr auf Qualifikation schauen, wenn es um die Besetzung der Stellen geht.
Den “Neustartern” sehr ähnlich sind diejenigen Auswanderer, die ihre ersten Schritte im Berufsleben wagen – mit oder ohne Berufsausbildung und/oder Studium. Sie kommen nach der Schule, der Ausbildung oder dem Studium nach Irland, um hier erste Erfahrungen zu sammeln. Ihnen fehlt meist einiges an Lebenserfahrung, was sie jedoch durch viel Optimismus wettmachen.
Gerade Schulabgänger sind jedoch für Arbeitgeber oftmals ein Graus – die erhebliche Stamina im Nachtleben überträgt sich oft eher negativ auf die Aktivität im Job. Typische Probleme sind Krankheitstage zu Wochenbeginn wegen “Kopfschmerzen”, leichte Koordinationsschwierigkeiten am Morgen oder die Tendenz, den Arbeitsbeginn eher flexibel zu sehen. All das führt schnell zu Gesprächen zum Thema “Corrective Action” … oder, gerade bei Restblut im Alkohol, auch schon mal zum schnellen Arbeitgeberwechsel.
Die Begeisterung für Schul- und Studienabgänger hat sich gelegt, man sollte doch schon einige Eindrücke aus dem Arbeitsleben vorweisen können. Wer jedoch gejobbt hat oder Praktika nachweisen kann, hat gute Chancen, gerade für einen Zeitvertrag.
Eine dritte Gruppe von Auswanderern bilden diejenigen, die den Wechsel nach Irland als konsequente Fortführung des Berufsweges sehen. Wir reden dabei nicht von “frischen Umschülern”, also etwa arbeitslosen Akademikern mit einer Weiterbildung im EDV-Bereich – das sind “Neustarter”. Nein! Diese Menschen sind in der Regel schon länger qualifiziert und wagen den Schritt, weil sie im Ausland verschiedene Möglichkeiten zur Verbesserung des eigenen Arbeitslebens sehen.
Ich schätze, dass die meisten Menschen dieser “Auswandererklasse” ohnehin gar nicht auf diesen Seiten mitlesen – sie werden meist direkt von ihren Arbeitgebern angesprochen … oder von spezialisierten Headhuntern … und ihnen wird der Wechsel oft nicht nur einfach gemacht, sondern auch von A(rbeitserlaubnis) bis Z(weizimmerwohnung) finanziert und ohne wesentliche Eigenbeteiligung erledigt.
Kommen wir also zum Indiana Jones der Emigranten, dem Auswanderer aus Abenteuerlust, dem allerdings meist die Peitsche, der Hut und leider auch die Zielstrebigkeit des Filmhelden fehlen.
Diese Menschen stolpern meist ohne genauen Plan in Bewerbung und Interview hinein, verkaufen sich oberflächlich gesehen recht gut, wissen jedoch gerade auf die Frage “Und warum wollen Sie auswandern?” nichts konkretes zu antworten. Sie wollen auswandern, weil das gerade toll klingt – und das klingt natürlich im Bewerbungsgespräch nicht gerade toll. Sehr pauschalisierend handelt es sich hier oft um Menschen mit abgebrochenem Studium, mit einer Palette an unqualifizierten Jobs im Lebenslauf (… wenn überhaupt!).
Arbeitgeber verdanken diesen Menschen oftmals grossartige Unterhaltungsmomente, leider aber auch oft Probleme eben durch ihr Selbstbild als “Lebenskünstler”, “Philosoph” oder “Hans Dampf in allen Gassen”. “Mal ausprobieren” ist trotz aller plakatierter “Lockerheit” nicht das Motto bei den meisten Firmen in Irland, daher müssen sich selbst die abenteuerlustigsten Emigranten in der Praxis schnell zu “Neustartern” wandeln.
Alternativ wäre der Einstieg nach Irland über einen Zeitvertrag (… die meist “knebeln”) oder, und das ist für Arbeitgeber wir “Indiana” ideal, als Temp (über Zeitarbeitsfirmen) möglich.
Übrigens – eng verwandt ist der “Aussteiger”, der “den ganzen Stress, den Konsumterror und die Hektik in Deutschland, weisst Du?” hinter sich lassen will. Der überlebt jedoch nur bei den verzweifeltsten Arbeitgebern das Interview …
Eine interessante Gruppe von Auswanderern sind für mich aus vielerlei Sicht die “Flüchtlinge” und “Versager” (ich kann schon die Proteste hören … es sind willkürlich gewählte, krasse Begriffe, aber sie treffen den Punkt!).
Die meisten “Flüchtlinge” kehren Deutschland den Rücken, weil sie dort keine Perspektive mehr sehen. Viele könnte man als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen – Schulden und eine miese Arbeitsmarktlage gemeinsam zwingen sie zur Emigration, das Ziel Irland ist oftmals nur zufällig gewählt.
Die “Versager” dagegen verlassen das Land, weil ihr bisheriger Lebensweg eben durch ein Versagen am herrschenden System geprägt wurde. Sie sind meist beruflich qualifiziert, konnten jedoch keine Arbeitsstelle für längere Zeit halten, da sie mit dem täglichen Berufsleben nicht zurechtkommen.
Sowohl “Flüchtlinge” als auch “Versager” taumeln meist als passives Opfer der Umstände (so jedenfalls das Selbstbild) in die Bewerbung, können dann aber relativ schnell entscheiden, ob sie sich weiter treiben lassen oder zum “Neustarter” werden. Diese Entscheidung wird letztlich nur davon abhängen, wie realistisch man sich selbst und den bisherigen, negativ geprägten Lebensweg einschätzen kann und wie bereit man ist, daran (und damit an sich selbst) etwas zu ändern. Jeder aus dieser Gruppe, der ein Interview übersteht und ein Angebot bekommt, hat die Chance zu einem neuen Anfang.
Aus Arbeitgebersicht sind beide Gruppen potentiell gefährlich (weil in sich explosiv …), aber auch eine potentielle Chance: Oftmals ist es ihnen nämlich so gut wie unmöglich, in Deutschland eine geregelte Arbeit zu finden (zum Beispiel wegen Gehaltspfändung). Das bedeutet im Gegenzug, dass eine “Flucht zurück nach Deutschland” hier oft schon im Vorfeld flachfällt … und dass die Loyalität zum Arbeitgeber fast auf dem Niveau illegaler Immigranten anzusiedeln ist. Klingt böse, ist auch sarkastisch – ein immer wieder auftretendes Gerücht sagt jedoch, dass manche Teams in den miesesten Call Centern auf der Insel sehr an Resozialisierungsprogramme erinnern.
Tatsache ist, dass sich der Arbeitgeber durch die Chance, die er den “Flüchtlingen” und “Versagern” bietet, und durch deren persönliche Geschichte, oftmals sehr treue Mitarbeiter erkauft – die sich dann im Laufe der Zeit eben zu Neustartern verwandeln. Das ist eine ideale “Win-Win-Situation”.
Beide Gruppen sollten jedoch nicht auf die permanente Unterstützung durch Arbeitgeber und Vorgesetzte hoffen – gewiss macht man mal Konzessionen wenn es um Gerichtstermine geht, oder um Besuch bei den Kindern, auch lässt man sich schon eher auf Kompromisse ein, wenn man die Aussicht auf Besserung hat. Das wird jedoch nach einiger Zeit eng: Die Zahl der freien Tage ist begrenzt, der Spielraum für Flexibilität von den Anforderungen des täglichen Geschäfts vorgegeben. Spätestens, wenn sich ein Gefähl des “Durchschleppens” einstellt, wird es gefährlich!
OK – jetzt zur entscheidenden Frage: Wo siehst Du Dich selbst? Erkennst Du Dich als Neustarter oder als derjenige mit den ersten Schritten im Berufsleben, dann ist Auswanderung eine Alternative, die Du überdenken und durchaus in Erwägung ziehen solltest. Gerade bei den ersten Schritten im Berufsleben solltest Du jedoch überlegen, ob eine Auszeit nicht eher Dein Wunsch ist?
Erkennst Du Dich als Karriereauswanderer, ist die Frage des Für und Wider eigentlich müssig.
Erkennst Du Dich als Abenteuerlustiger, solltest Du verstehen, dass viele Firmen (und auch Behörden … zum Beispiel “social security”) diese Lust nicht unbedingt teilen. Eine Auszeit ist wahrscheinlich die bessere und ehrlichere Lösung für Dich.
Erkennst Du Dich als Aussteiger wieder … glaube mir: In Irland gibt es auch Druck, Stress, Hektik, Konsumterror, jedenfalls in der Nähe der meisten Arbeitsplätze.
Erkennst Du Dich als “Flüchtling” oder “Versager”, hast Du ja schon einen ersten Schritt gemacht, Dein Schicksal zu ändern: Du hast Deine Situation erkannt. Also, werde jetzt bewußt zum “Neustarter”.
Übrigens haben wir eine Kategorie von Auswanderern noch nicht erwähnt, uns bislang mmer auf die Auswanderung aus wirtschaftlichen Gründen konzentriert.
Es gibt auch noch die Idealisten, die nur nach Irland wollen, weil es eben Irland ist.
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