Kelten

"Keltisch, keltisch über alles" - so könnte man den Trend im deutschen Sprachraum ansehen, wenn es um die alten Kulturen Europas geht.

Irland ist ein “keltisches Land” – heute sind unter diesem Begriff mehrere europäische Länder einzuordnen. Hierzu gehören vor allem Schottland (ohne die Shetland und Orkney Inseln), Irland (Republik und Nordirland), die Isle of Man, Wales, Cornwall und die Bretagne. Dazu kommen in Frankreich Loire-Atlantique, in Spanien Asturien und Galizien und in Portugal Minho, die alle zumindest teilweise keltisch geprägt sind.

Historisch gesehen waren dies alles “rather late celts”, denn die keltische Kultur (Sprache und Artifakte) hat sich mit dem Wandel von der Jäger- und Sammlergesellschaft zu Ackerbau und Viehzucht ausgebreitet.

Und wo war das ursprüngliche Heimatland der Kelten? Wahrscheinlich im Länderdreieck Deutschland-Österreich-Schweiz.

Keltische Kulturen gab es allerdings in Europa von Spanien bis Mitteldeutschland, von Irland bis nach Anatolien … korrekt ist jedoch zu sagen, dass in Irland viele keltische Einflüsse auch heute noch ein integrierter Bestandteil der Alltagskultur sind.

In Irland verwendet man noch immer eine keltische Sprache – stimmt, denn nicht zuletzt de Valera ist die Verpflichtung für Iren zu verdanken, Irisch zu lernen.

Also geht man heute von etwa 1,1 Millionen Iren aus, die Irisch sprechen können (was schon andeutet, dass nicht jeder Schüler auch wirklich Irisch “lernt”). Wie aber sieht die tatsächliche Nutzung der Sprache aus? Nur etwa 22.000 Iren sprechen es täglich – im Gegensatz zu 30.000 Schotten, die im Alltag Scottish Gaelic sprechen, 326.000 Walisern, die tagein-tagaus Walisisch nutzen und 250.000 Bretonen, bei denen Breizh das Französische ersetzt.

Abgesehen von den wenigen Menschen, die im Alltag Cornish oder Manx sprechen, ist Irisch also die am wenigsten verwendete keltische Sprache. Dazu kommt noch das Problem, dass Irisch eine künstlich wiederbelebte Sprache ist, die sich nicht natürlich aus dem Gälischen entwickelt hat (im Gegensatz zu etwa Welsh und Breizh), eine Professorensprache eben.

Übrigens werden die Bewohner des Nordteils der iberischen Halbinsel noch ihren Senf in der Form dazugeben, dass man eine keltische Kultur haben kann, ohne eine keltische Sprache zu besitzen.

Video: Die Kelten: Europas vergessene Macht

Irland besitzt die grossen keltischen Monumente wie Newgrange – einmal davon abgesehen, dass die Erbauer von Newgrange wahrscheinlich (oder eventuell, je nach Autor) keine Kelten waren … auch wenn Newgrange, Knowth, Dowth und wie die Anlagen alle heissen sicherlich mit zu den beeindruckendsten Zeugnissen einer europäischen Kultur weit vor den Pyramiden gehören, sind sie doch nicht einmalig.

Bevor man angesichts des Axtkopfes von Knowth in keltisch-erotische Schauer verfällt, sollte man sich vielleicht auch an die Funde von Hochdorf erinnern, um nur ein naheliegendes Beispiel zu nennen. Summa summarum: Keltische (oder so eingestufte) Monumente und Artifakte gibt es in halb Europa, die irischen sind jedoch in Kreisen der Kelten Fans meist die bekanntesten. Ebenso sind sie allein durch die relativ geringe Grösse des Landes auch sehr massiert zugänglich.

Irland hat die keltische Musiktradition – “twaddle”, wie Michael Caine ‘mal so schön sagte. Niemand weiss, was für Musik die Kelten eigentlich hatten. Was man vielleicht feststellen kann ist eine Ähnlichkeit der musikalischen Motive, die in den heute als “keltisch” geltenden Ländern zu finden ist.

Das zieht sich von traditional folk über die Chieftains und Alain Stivell über Clannad und Enya über U2, die Simple Minds und das Afro-Celt-Sound-System bis hin zu klassischen Stücken wie “Fingal’s Cave”, zu den Auswüchsen des “Country & Irish” und populärer Musik von “Riverdance” bis Ronan Keating. Die Motive stammen aus der traditionellen Volksmusik – können aber teilweise auch in den traditionellen Musiken etwa Russlands, Griechenlands oder der Türkei wiedergefunden werden.

Irland hat die keltischen Mythen – das stimmt schon … nur sind die meisten dieser Mythen auf archetypische Gestalten und Situationen reduzierbar, die dann nahezu weltweit existieren. Die Namen ändern sich, die grundlegenden Geschichten und Figuren bleiben letztlich gleich. Dazu kommt das Problem, dass viele Mythen nur in einer späten oder gar überarbeiteten Form existieren. Die meisten schriftlichen Aufzeichnungen der grossen Mythen und Epen stammen aus der christlichen Ära, als das “keltische” schon verwässert wurde.

Irland hat, unzweifelhaft, viele keltische Einflüsse in seiner Kultur – aber auch skandinavische, anglo-normannische, andere “europäische” und US-amerikanische. Und sicherlich kann man sich hier viele beeindruckende Monumente und Artifakte ansehen. Nach Irland zu fahren, um dort unverfälschtes Keltentum kennenzulernen ist jedoch eine Phantasie. Vor allem wenn man, wie ein Experte einmal spöttisch bemerkte, aus den Rhein- und Donaugebieten kommt, der (sehr wahrscheinlichen) Wiege der keltischen Kultur.

Zudem ist das “keltische” Irland, wie es oft vermarktet wird, ein Mischprodukt aus prä-keltischen, keltischen, christlichen und skandinavischen Elementen.

Das soll natürlich niemandem sein persönliches Irlanderlebnis verderben … aber vielleicht eine genauere Beschäftigung mit der Geschichte anregen.

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